Trugschluss Tradimix. Hackbrett und Popularmusik – eine Annäherung

von Komalé Akakpo

Erstveröffentlichung in "Phoibos" - Zeitschrift für Zupfmusik 1/2013


Ihr aber, die ihr selber nun das "Salzburger Hackbrett" spielt oder es euch zulegen wollt, bedenkt, dass es nur in Gesellschaft anderer alpenländischer Instrumente glücklich ist!" (Reiser 1959, S. 53.)

Dieser fromme Wunsch Tobi Reisers, des Erfinders des chromatischen Salzburger Hackbretts, erscheint heute allenfalls Szeneunkundigen noch als Gebot. Bereits zehn Jahre nach Erscheinen von Reisers Bericht in der Sänger- und Musikantenzeitung begann Karl-Heinz Schickhaus mit der Entdeckung originaler Salteriosonaten und durch Auftragskompositionen, dem neuen Hackbretttypus klassische und zeitgenössische Musikwelten zu erschließen. Schickhaus trat Reisers Annahme, bei dem Hackbrett handle es sich um ein reines Volksmusikinstrument, mit eindeutigen Belegen entgegen. Vielmehr wurden beinahe alle Erscheinungsformen des Hackbretts in den verschiedenen Epochen sowohl in geistlicher, als auch gehobener sowie folkloristischer weltlicher Musik verwendet, kurz: Es war bis in die jüngste Vergangenheit auch im deutschsprachigen Raum ein Instrument, das ähnlich eingesetzt wurde wie andere, damals wie heute verbreitete Saiteninstrumente.

Ausgehend von der Vermittlung dieses Wissens im von Karl-Heinz Schickhaus geleiteten Studiengang Hackbrett am Münchener Richard-Strauss-Konservatorium führten vorwiegend professionelle Spieler das Vorhaben ihres Lehrers fort, neue Einsatzbereiche für das Hackbrett zu erschließen. Heute, rund 80 Jahre nach Erfindung des Chromatischen Salzburger Hackbretts gibt es wohl kaum ein Genre, in dem nicht zumindest erste Gehversuche mit diesem Instrument unternommen wurden. Insbesondere Popularmusik erfreut sich seit etwa 15 Jahren steigender Beliebtheit und ist aus dem Unterricht für Kinder fast flächendeckend nicht mehr wegzudenken. Verbreitung und Genres populärer Musik im Hackbrettspiel sollen im Folgenden beschrieben werden. Gleichwohl zwingt die kuriose Art und Weise dieser Entwicklung zu einer Art resümierendem Zwischenbericht, da bisher nur ein Minimum an theoretischen Überlegungen und Spielliteratur veröffentlicht ist. So stammen die Informationen dieses Artikels vor allem aus selbst erlebten Situationen, Gesprächen oder aus erster Hand von Hauptakteuren und Kollegen, da sich der Autor selbst als Teil des jüngeren Entwicklungsprozesses begreift.

Wer ein Instrument spielt, hat zwei Möglichkeiten, sich aktiv mit Popmusik auseinanderzusetzen: entweder spielen oder nachspielen. Gitarristen, Sänger oder Schlagzeuger können dabei direkt ihren Idolen aus bekannten Gruppen nacheifern. Musiker, deren Instrument nicht in den üblichen Bandbesetzungen vorkommt, spielen Bearbeitungen. Inwieweit diese Praxis authentisch und für den Spieler befriedigend ist, scheint sehr unterschiedlich zu sein. Zwei Dinge sind nach eigener Erfahrung aus dem Unterricht mit Kindern und Jugendlichen aber sehr motivierend: zum einen die Erfahrung, Popmusik überhaupt selbst reproduzieren zu können, so wenig das Ergebnis auch nach dem Originalsound klingen mag, zum anderen das Wissen um professionelle Interpreten, die zum Vorbild genommen werden können und das Instrument damit aufwerten. Im Gegensatz zu manch anderem vermeintlichen Volksmusikinstrument kann das Hackbrett bereits auf einige Beispiele im professionellen Bereich verweisen. Auch wenn das Bild von nacheifernden Teenagern hier fehl am Platz ist, sollte der Einfluss dieser Experimente auf die folgende Entwicklung nicht unterschätzt werden.

Originale Popularmusik für Hackbrett

Wie in so vielen anderen Bereichen kommt Rudi Zapf auch in Sachen Popularmusik die Vorreiterrolle zu. Der gebürtige Münchner begann Mitte der 1980er Jahre eine enge Zusammenarbeit mit dem studierten Jazz-Gitarristen und Komponisten Wolfgang Neumann. 1986 gründeten sie die Band Never Been There, die zwischen 1987 und 1995 drei Alben veröffentlichte. Vom Hackbrett abgesehen entsprach die Besetzung mit Schlagzeug, E-Bass, E-Gitarre und Keyboard der einer typischen Instrumental-Popgruppe. Auf den ersten beiden LPs "Never Been There" und "Ambience" bewegt sich die Gruppe stilistisch zwischen Pop, Fusion Jazz und New Age. Die meisten Stücke sind eigenständige Kompositionen von Wolfgang Neumann, bisweilen verarbeitet die Band aber auch Folklorestücke aus den Notenheften von Zapfs Lehrer Karl-Heinz Schickhaus. Auf den Titellisten finden sich gelegentlich auch bayerisch benannte Titel. Erstaunlicherweise haben diese Stücke aber nichts mit dem sogenannten Tradimix, der Verschmelzung von Rock und Volksmusik, zu tun. Erst die "Afra Polka" auf dem dritten Album "Third out of three" weckt Assoziationen an den kurz zuvor etablierten Alpenrock Hubert von Goiserns. Auf diesem dritten Album ist zudem die Harfenistin Evelyn Huber zu hören.

Der Klang der Never Been There-Alben und auch späterer Veröffentlichungen anderer Gruppen ist vom Tenorhackbrett geprägt. Zapf entwickelte diese Form mit größerem Tonumfang und Dämpfpedal Mitte der 80er Jahre mit dem Instrumentenbauer Alfred Pichlmaier. Das sustainarme Staccato bei durchgehend gedrücktem Pedal ist nicht nur Markenzeichen von Zapfs Hackbrettsound, sondern auch unerlässlich, um schnelle Tonfolgen im Bandkontext trennscharf zu artikulieren. Zapf versuchte des Weiteren, das Hackbrett mit Tonabnehmern zu elektrifizieren. Während das Tenorhackbrett inzwischen weit verbreitet ist, konnte sich die elektroakustische Variante nie etablieren. Dies ist wohl damit zu erklären, dass die Anschlagsgeräusche von auf den Stegen montierten Tonabnehmern zu stark übertragen werden und eine originalgetreue Wiedergabe des Instrumentenklangs schwer zu realisieren ist. Rudi Zapfs Hackbrett klingt auf dem ersten Album von Never Been There mit Halleffekten eher nach Andreas Vollenweiders Harfe. Auch Versuche anderer Hackbrettbauer waren nicht zufriedenstellend, so dass heute eine externe Mikrofonierung bevorzugt wird. Im Livebereich liefert beispielsweise das übersprechungsfreie Kondensatorsystem C-411 von AKG gute Ergebnisse.

Die Aufgabe des Hackbretts im Bandgefüge ist bei Rudi Zapf klar definiert. Als registerhöchstes Instrument übernimmt es Melodie und Soloparts, die teilweise von einer unverzerrten E-Gitarre gedoppelt werden. Die Begleitung mit Schlagzeug, E-Bass und synthetischen Flächensounds lässt dem Hackbrett dabei viel Raum. Auf "Third out of three" bewegen sich Hackbrett und Harfe im Terzabstand oder wechseln sich ab. Die Arrangements sind insgesamt dichter, die in der Rockmusik übliche, verzerrte E-Gitarre kommt aber weiterhin nur in Solopassagen zum Einsatz. Eine Begleitfunktion kommt dem Hackbrett nur im Ausnahmefall zu, genau wie die spätere Nachbearbeitung mit Effekten wie Chorus und Hall, wie bei der "Intrada No. 1" zu hören ist.

Nicht unerwähnt bleiben soll Rudi Zapfs Mitwirkung an der ersten BavaRio-CD "ja genau". Der Gitarrist Wolfgang Netzer schrieb seine Eigenkompositionen und Latin Jazz-Arrangements für eine klassische Volksmusikbesetzung mit Gitarre, Hackbrett, Zither und Kontrabass. Auch wenn diese Stücke kein Bandrepertoire im ursprünglichen Sinne sind, fallen sie doch unter den Begriff der Popularmusik und sind durch die konsequente und virtuose Vermischung von bayerischer und südamerikanischer Folklore mit Jazzelementen eine Blaupause für spätere Tradimixgruppen. Auch hier behält das Hackbrett seine Funktion als reines Melodieinstrument.

Die Musik von Never Been There dürfte im höchst übersichtlichen Genre „Hackbrett-Pop“ den höchsten Bekanntheitsgrad erlangt haben, stehen doch auch Fernsehauftritte u.a. bei Alfred Biolek und ein Abend in der Münchener Philharmonie zu Buche. Entsprechend groß war der Einfluss, den Rudi Zapfs Erfindungsreichtum auf die Entwicklung der Hackbrettszene in den 1990er Jahren hatte. Zwar gab es bisher keine weiteren ähnlich ambitionierten Versuche in dieser Musikrichtung, die Arbeit von Günter Ebel im Jazzbereich ist aber mit mit der Rudi Zapfs vergleichbar.

Günter Ebel studierte am Richard-Strauss-Konservatorium eine einzigartige Fächerkombination. Zusätzlich zu einem klassischen Hackbrettstudium wurde ihm in einer Ausnahmeregelung gestattet, mit seinem Instrument auch den Studiengang Jazz als Zusatzfach zu absolvieren. Unter der Förderung des ehemaligen Leiters der Jazzabteilung Kurt Maas stand auch die Harfenistin Evelyn Huber. Maas regte die Gründung von Jazzbesetzungen mit untypischen Instrumenten an, woraus die Formation Bavaria Blue entstand. Diese hat sich in einer Besetzung mit Hackbrett, Harfe, Gitarre sowie Drumset, Bass und vereinzelt Gesang der Interpretation von Jazz-Standards, vornehmlich aus dem Swing- und Latinbereich, verschrieben. Zum Repertoire gehören aber auch Stücke wie "Blue Monk", "Cantina Band" und Rock'n'Roll-Cover. Alle Musiker verstärken ihre Instrumente, verzichten aber auf den Einsatz von Effekten. Ebel spielt sein Tenorhackbrett ebenfalls häufig gedämpft, um schnelle Harmoniewechsel nicht durch den Nachklang des Instruments verschwimmen zu lassen. In seinem Spiel kommt dem Hackbrett erstmalig auch eine echte Begleitfunktion zu. Ebel agiert dabei als gleichwertiger Partner von Harfe und Gitarre, stellt Themen vor und soliert über sie, gliedert sich während anderer Soli aber auch in die Begleitsection ein. Dazu verwendet er meist rhythmische zweistimmige Patterns, die aus den Spannungstönen der Akkorde bestehen, oder einstimme Tremoli. Diese Spielweise ähnelt dem Stil von Vibraphonisten wie Milt Jackson. Auch wenn weiterführende Studien zur analogen Verwendung von Vibraphontechniken für das Hackbrett bisher fehlen, scheint diese Orientierung ein möglicher Anknüpfungspunkt für zukünftige Projekte dieser Art zu sein. Die Arbeit von Bavaria Blue ist mittlerweile auf zwei CDs dokumentiert.

Weitere Projekte, bei denen das Hackbrett vordergründig in Popproduktionen eingesetzt wurde, finden sich ansonsten nur spärlich. Für einige Soli verwendete Jörg Lanzinger das Instrument auf Alben seiner Hard Rock-Band Between The Lines, es kommt jedoch nie über längere Strecken zum Einsatz. Lanzinger studierte in München Zither, Hackbrett und Kontrabass und ist derzeit der produktivste Popmusiker der Szene. Er verwendete das Hackbrett bisweilen auch in Jazz-Sessions. Von seinen zahlreichen Aktivitäten im pädagogischen Bereich wird in der Folge noch zu lesen sein. Mit dem Lanzinger Trio möchte er seit 2009 in eine neue Richtung. Eine Volksmusikbesetzung aus Hackbrett, Zither und Gitarre soll Popmusik ohne volksmusikalische Elemente spielen. Das Ergebnis ist bisher rein akustisch und wurde für die CD "Freilig" im Jahr 2012 eingespielt. Hier fungieren die drei Instrumente gleichwertig und übernehmen abwechselnd melodische, harmonische und perkussive Funktionen. Eine Festlegung auf bestimmte Popstile ist nicht zu erkennen, die Einflüsse reichen von Progressive Rock der 80er Jahre über Surf Music bis zu modernen Rockelementen. Experimente mit Verzerrern und anderen Effekten führten für das Hackbrett noch zu keinem befriedigenden Ergebnis.

Ähnliche Versuche unternehmen derzeit die Hackbrettstudentin Lisa Schöttl und Kilian Lau in der Besetzung mit Hackbrett und E-Gitarre. Stilistisch orientiert sich das Duo LauSchRausch an progressivem Metal. Mit Moni Schönfelder hat sich außerdem jüngst eine profilierte Komponistin und Musikerin des Hackbretts angenommen. Die professionelle Saxophonistin setzt eine Spezialanfertigung des Hackbrettbauers Klemens Kleitsch auf dem Album "Dance of Elements" ein. Dort tritt das Hackbrett eher als perkussives Instrument in Erscheinung, das im Zusammenspiel mit Bass und Schlagzeug die Grundlage für mehrstimmige Bläsermelodien legt. Auch Schönfelder pendelt stilistisch zwischen Jazz, Latin und Akustik Pop.

Stärker in Richtung New Age geht die CD von Manfred Feldhaus, der Hackbrett und Gitarre autodidaktisch erlernt hat. Feldhaus' Instrument und Technik sind damit nicht auf dem neuesten Stand. Dennoch setzt er das Hackbrett relativ virtuos für Themen und Solospiel ein. Die Begleitung stammt von selbst arrangierten Midifiles. Vermutlich ließen sich noch zahlreiche andere Beispiele ähnlicher Machart anführen. Sie sind jedoch nur schwer auffindbar, da die Interpreten meist keine ernsthaften Ziele mit dieser Musik verfolgen. Kostproben ihrer Arbeit finden sich dann eher zufällig auf Videoportalen oder nicht weiter beworbenen Internetseiten.

Eine der wenigen, wenn nicht die einzige Künstlerin, die Vokalpop mit Hackbrett kombiniert, ist die Österreicherin Elisabeth Schweizer. Unter dem Künstlernamen elizhat sie mit ihrer Band ein Album mit deutschsprachigen Eigenkompositionen veröffentlicht. Schweizer singt, spielt Akustikgitarre und Hackbrett. Letzteres setzt sie bei Strophen und Zwischenspielen wie eine Leadgitarre ein, das heißt in kurzen melodischen Phrasen oder meist einstimmigen Akkordzerlegungen. Wie Manfred Feldhaus legt sie wenig Wert auf besonderes Equipment, ihr Hackbrett entspricht der heute verbreiteten Standardversion mit zweieinhalb Oktaven Umfang ohne Dämpfpedal, ihr Hackbrettständer ist aus Metall. Schweizers Songs besitzen einfachen Folgen mit wenigen Akkorden, die über mehrere Takte gehalten werden. Ähnlichkeiten mit der Musik von Christina Stürmer und Claudia Koreck sind nicht von der Hand zu weisen. Ebenfalls aus Österreich stammt die Formation Salterinaum Ulrike Knapp. Die Absolventin des Linzer Bruckner-Konservatoriums spielt in verschiedenen Besetzungen unter anderem Stücke mit Pop- und Jazzeinflüssen.

Bewusst soll in diesem Artikel der Stilmix ausgeklammert werden, der sich seit einigen Jahren als Tradimix oder Volxmusik etabliert hat. Zwar gibt es auch in dieser Richtung innovative Hackbrettspieler in mehreren Gruppen, doch gibt es in der Laienszene viele Stimmen, die sich Popmusik gänzlich ohne volksmusikalische Anklänge wünschen, und auch die bekanntesten Lehrer und Arrangeure stellen in dieser Richtung wenig bereit. Das rührt wohl auch von dem Wissen her, dass das Hackbrett eben nicht zwangsläufig mit der Volksmusik verbunden sein muss.


Pop im Bereich der Laienmusik und als Unterrichtsliteratur

Das Spielen von Bearbeitungen populärer Musik geht ebenfalls auf die Initiative akademisch ausgebildeter Lehrer zurück. Mit Sicherheit hatten Hackbrettspieler auch früher schon die Idee, bekannte Themen auf ihrem Instrument nachzuspielen. Hackbrettspieler sind ohnehin mangels Notenmaterial genreunabhängig darauf angewiesen, Eigeninitiative zu zeigen. Größere Verbreitung fand diese Praxis im Bereich Popularmusik aber erst auf Seminaren. Der Hauptimpuls ging hier wohl von Günter Ebel aus. Auf dem Hackbrettseminar 1997 in Balingen stellt er den "Balinger Hackbrett-Blues" vor und unterrichtete die Teilnehmer in den Grundlagen der Blues-Improvisation. In der Folgezeit erfreute sich das Stück auch auf anderen Seminaren großer Beliebtheit und erzeugte unter Hackbrettspielern wie Zuhörern das Gefühl, endlich eine Originalkomposition vorweisen zu können, die nichts mit alpenländischer Volksmusik oder Klassik zu tun hatte. Ebel arbeitete in diese Richtung weiter und schrieb zahlreiche Bearbeitungen aus dem Jazz- und Popbereich sowie Eigenkompositionen für Hackbrettensemble. Meist waren in diesen Arrangements neben zwei bis drei Melodiestimmen und ein oder zwei Begleitstimmen auch Gitarre und Kontrabass zur Begleitung vorgesehen. Letzterer kann alternativ auch durch ein Basshackbrett ersetzt werden.

Die Schwierigkeit bei der Interpretation von Jazzmusik auf dem Hackbrett liegt – mit Ausnahme des Modal Jazz – im schnellen Wechsel der Harmonien, das den Nachhall des Instruments zum Problem werden lässt. Ebel erkannte, dass in diesem Fall zufriedenstellende Ergebnisse nur mit einer gut entwickelten Dämpftechnik erzielt werden können. Auch die für Jazz und Pop charakteristische Rhythmik mit ternären Achtelnoten, Vorausnahmen und Synkopen stellte für die meisten Hackbrettspieler Neuland dar. Als Hilfestellung veröffentlichte Günter Ebel deshalb im Jahr 2001 die Schule "Swinging Strings", von der bislang allerdings nur der erste Band vorliegt. Er erklärt darin die ein- und zweistimmige Phrasierung im Jazz. Das Konzept, Sprachsilben zur korrekten Wiedergabe von ternären Rhythmen zu verwenden, stammt von seinem Lehrer Kurt Maas. Erläuterungen zu Struktur und Improvisation waren dagegen für den zweiten Band vorgesehen. "Swinging Strings" ist bis heute das einzige Lehrwerk zum Thema Popularmusik für Hackbrett. Obwohl das Heft bereits fortgeschrittene Kenntnisse im Hackbrettspiel voraussetzt, fand es bei vielen Interessierten großen Anklang.

Ebenfalls Mitte der 1990er Jahre begannen Referenten des Landes-Hackbrett-Bundes Baden-Württemberg mit der Bearbeitung bekannter Popmusik für Hackbrettensemble. Monika Spieß und Jörg Thum, beide Schulmusiker und Hobbyhackbrettspieler orientierten sich dabei offensichtlich an bestehenden Arrangements für ähnliche Besetzungen wie Gitarrenorchester oder Blasmusik. Der Stilistik waren damals schon keine Grenzen gesetzt. Von Schlagern über aktuelle Popsongs bis zu Themen aus Film und Fernsehen wurde bearbeitet, was beliebt war.

Jörg Lanzinger weitete dieses Repertoire ab 1998 auf den Schwäbischen Hackbrettseminaren weiter aus. Aktuelle Popsongs und Rockklassiker wie "Smoke on the Water" von Deep Purple standen in den folgenden Jahren auf dem Programm und erfreuten sich quer durch alle Altersgruppen großer Beliebtheit. Auch bei diesen Arrangements standen die Hackbretter im Vordergrund. Die Bassstimme wurde oktaviert von einem Bass- oder Tenorhackbrett ausgeführt, die Mittelstimmen bildeten durch Zweiklänge oder zerlegte Akkorde das harmonische Gerüst, die Melodie- bzw. Gesangslinie wurde in der Regel auch eine Oktave nach oben transponiert, um Stimmkreuzungen zu vermeiden. Wie bei allen gleich besetzten Kammermusikensembles besteht die Schwierigkeit auch bei Hackbrettern darin, die Stimmen in verschiedenen Klangfarben voneinander abzusetzen. Hinzu kommt der vergleichsweise geringe Tonumfang bzw. die Tatsache, dass Tenor- und Basshackbretter nach wie vor wenig verbreitet sind. In der Praxis behilft man sich mit verschiedenen Techniken wie Zupfen, Tremolo, gedämpft gespielten Passagen und der Verwendung unterschiedlicher Schlägelbeläge. Vor allem bei Unterrichtsliteratur hat die Erfahrung gezeigt, dass das vereinfachte „Eindampfen“ eines Bandarrangements zu einer Art aufgeteiltem Klaviersatz für Spieler und Zuhörer schlüssiger klingt als eine originalgetreue Übernahme der einzelnen Instrumentalstimmen, auch wenn gerade das für fortgeschrittene Schüler eine interessante Herausforderung darstellt.

Jörg Lanzinger weitete seine Tätigkeit als Arrangeur in den folgenden Jahren aus und setzt inzwischen vor allem für ein gemischtes Ensemble in Kammerorchestergröße mit Hackbrettern, Gitarren, Kontrabass und Cajon als Schlagzeugersatz. Für eine ähnliche Besetzung schreibt seit Jahren Rita Nowak. Ulrike Wenicker-Kuhn griff für ihr Hackbrettorchester Salterion Stücke von Scott Joplin und den Beatles auf, arrangierte diese allerdings wesentlich komplexer im Stile von Kammerorchesterpartituren mit sechs bis dreizehn Stimmen (Horber 2011, S. 8). Die Besetzungen dieser Ensembles ähneln sich aufgrund der beschränkten Lautstärke der Hackbretter. Zithern, Holzbläser und einzelne Streichinstrumente kommen immer wieder vor, Blechbläser, Drumsets oder E-Gitarren sind dagegen die Ausnahme.

Weitere Hackbrettlehrer in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Österreich haben bisher Werke aus Rock, Pop und Filmmusik für verschiedene Besetzungen adaptiert. Gerade im Bereich der Evergreens aus den letzten 60 Jahren Popgeschichte, alter Schlager wie "Mein kleiner grüner Kaktus" und Filmmusik ist bereits eine stattliche Anzahl an Bearbeitungen von über zwanzig Arrangeuren vorhanden. Das große Problem der Szene ist, dass bisher nichts davon veröffentlicht und häufig nur als Unterrichtsliteratur verwendet wurde. So fehlen zum einen die Etablierung eines gewissen Standards in den Arrangiertechniken, zum anderen ein Mehrwert durch den Erwerb und Verwendung des Arrangements durch andere Spieler.

Exkurs: Das Hackbrett in professionellen internationalen Popproduktionen

Abgesehen von elektronischer Popmusik und Rock mit extrem verzerrten Gitarren und bedingt tonalem Gesang scheint sich Popmusik unabhängig von Genre und Instrumentation gut auf das Hackbrett übertragen zu lassen. Selten finden sich dabei allerdings Vorlagen mit originaler Hackbrettstimme. Am bekanntesten ist der Einsatz eines englischen Hackbretts im Stück "Life in Technicolor" der britischen Band Coldplay, wo es das Hauptriff spielt. In den unscharf definierten Bereich des Progressive Rock/Pop fallen Künstler wie Björk, Peter Gabriel, Porcupine Tree, Rush, Embryo und Marillion, die ebenfalls gelegentlich einen Verwandten des Salzburger Hackbretts auf ihren Veröffentlichen zum Einsatz bringen. Eine weitere Gruppe dieser Stilrichtung, The Alan Parsons Project, verwendete auf zwei Alben mit dem Cimbalom die ungarische Variante des Hackbretts. Allen erwähnten Beispielen ist gemeinsam, dass das Hackbrett nur an wenigen Stellen eingesetzt wird. Wird das Hackbrett von einem Bandmitglied – meist dem Schlagzeuger oder Pianisten – gespielt, findet es für rhythmische, xylophontypische Patterns Verwendung und wird häufig mit Synthesizer- oder Gitarrensounds gedoppelt. Kommt ein Gastmusiker zum Einsatz, soll dieser oft mit einer prägnanten Hauptmelodie ein folkloristisches Kolorit einbringen. Eine entsprechende Verwendung findet sich bei Komponisten des 20. Jahrhunderts wie Kodály oder Orff und Filmmusiken von John Barry und Carmine Coppola (http://en.wikipedia.org/wiki/Cimbalom/, zuletzt abgerufen am 03.12.2012). Auch der Gebrauch des Hackbretts als Perkussionsinstrument ist nicht nur bei zeitgenössischen Komponisten wie George Crumb, sondern auch in der Filmmusik von Howard Shore, Hans Zimmer oder in Deutschland Rainer Bartesch zu beobachten.

Originale Popularmusik für Hackbrett in notierter Fom

Die Verwendung des Hackbretts in originaler Literatur popmusikalischen Stils ist der jüngste Bereich in der Entwicklung der Hackbrettmusik. Auch hier sind kaum Stücke verlegt, was aber auch an fehlenden Komponisten liegen mag. Die Zahl der bereits existierenden, aber nicht veröffentlichten Popstücke für Hackbrett liegt jedenfalls im Dunkeln. So bediente Jörg Lanzinger mit seinen Veröffentlichungen für reines Hackbrettensemble oder gemischte Besetzung diese Sparte mit verhältnismäßig großer Nachfrage lange Zeit allein. Nachdem sich drei seiner Schülerinnen im Alter zwischen sechs und neun Jahren zu einer „Hackbrett-Band“ zusammengefunden hatten, schuf Lanzinger erste Stücke für diese Besetzung, die er 2008 unter dem Titel "B.ubbles A.nd C.razy H.orses" über den Landes-Hackbrett-Bund Baden-Württemberg herausgab. Neben den drei Hackbrettstimmen sind außerdem Akkorde für Gitarre angegeben. Bei diesem ersten Spielheft werden die Stimmen häufig noch im gleichen Rhythmus gespielt, in einigen Fällen übernehmen eine oder zwei Stimmen auch das gängige Modell der Power Chords, also eine Begleitung mit Grundton und Quinte. Die typischen Songstrukturen mit Strophen, Bridge und Refrain sind bekannten Popsongs in vereinfachter Form nachempfunden. Daneben sind immer wieder effektvoll verschiedene Spieltechniken wie Zweiklänge, Tremoli, Klopfgeräusche oder Töne auf den Außenstegen eingebaut. Schließlich wird auch einem methodischen Anspruch Rechnung getragen, indem nach und nach anspruchsvollere Rhythmen und zusammengesetzte Taktarten verwendet werden. Die folgenden drei Hefte, die Lanzinger bisher veröffentlicht hat, schlagen die gleiche Richtung ein: Es soll eine große Bandbreite an Genres abdeckt werden, von poppigen Balladen bis zu schnellen Rock-Stücken. Der Band "Band-Mix" aus dem Jahr 2008 steht aufgrund der Besetzung für sich. Er enthält neben zwei beliebigen Melodiestimmen auch eine ausnotierte Schlagzeugstimme, sowie eine Begleitung für Keyboard und/oder Bass. Mit einer aus Midifiles erstellten Begleit-CD ist es zudem möglich, die Stücke zu Playback zu spielen. Dass diese Besetzung auch in der Praxis funktioniert, zeigt die Gruppe Saitenflitzer. Die drei Schülerinnen haben sich unter Lanzingers Anleitung vom Hackbrett-Trio zu einer Band mit Hackbrett, Bass, Gitarre, Schlagzeug und Gesang weiterentwickelt. Neben den Stücken aus der Feder ihres Lehrers und Coverversionen bekannter Rocksongs schreiben die Mitglieder inzwischen eigene Stücke, in denen sie das Hackbrett wie eine Leadgitarre einsetzen. Ähnliche Projekte sind aus der Hackbrettszene zwar noch nicht hervorgetreten, doch erfreuen sich Jörg Lanzingers Kompositionen ohne Zweifel großer Beliebtheit und werden nicht nur für den Unterricht mit Kindern, sondern auch von Laienspielgruppen Erwachsener stark nachgefragt.

Aus Österreich stammt schließlich die einzige Komposition für fortgeschrittene Schüler. "Quantum of Action" von Robert Morandell ist ein Stück für Hackbrett und Gitarre. Morandell, selbst übrigens kein Hackbrettspieler, sondern Gitarrist, lehnt sein Stück vom Aufbau her an Filmmusik an. Der schnelle, am Ende wiederholte A-Teil umschließt einen kontrastierenden B-Teil, der frei gehalten ist und Mehrklänge aus dem Modern Jazz verwendet. Der erste Teil ist dagegen von einem Wechselspiel aus pentatonischen Motiven mit Pedaltönen und komplexer chromatischer Melodik geprägt. Die Gitarre übernimmt den Begleitpart mit treibenden Power Chords und charakteristischer Hard Rock-Phrasierung. Auch dieses Stück, das für den österreichischen Prima la Musica-Wettbewerb entstanden ist, erfreut sich großer Beliebtheit.

Die Frage, ob Popmusik auf dem Hackbrett gespielt werden darf, stellt sich für die heutige Spielergeneration nicht mehr. Ein junges Instrument, das seine ersten professionellen Gehversuche in diesem Genre bereits hinter sich hat und sich in der Filmmusik steigender Beliebtheit erfreut, ist eine Begründung dafür. Eine zweite ist, dass das Hackbrett mit seinen vielfältigen melodischen und rhythmischen Möglichkeiten und dank der Weiterentwicklung von Instrument und Spieltechnik in der Lage ist, in adäquaten Besetzungen den Anforderungen dieser Musik gerecht zu werden. Und wo inzwischen von der Blockflöte bis zum Akkordeon beinahe jedes Instrument mit eigenen Adaptionen bekannter Schlager aufwarten kann, sollte das Hackbrett unbedingt nachziehen. Die bisherige Arbeit gibt den Lehrern, Komponisten und Arrangeuren recht: Diese Literatur begeistert vor allem Kinder und Jugendliche und sorgt seit Jahren für steigende Schülerzahlen und eine gleichbleibende Motivation auch im Pubertätsalter. Mit dem Schritt aus der Volksmusik auf andere Stile und Instrumente zu konnte das Hackbrett nur gewinnen.

 


Literatur:

  • Horber, Jasmin (2011): Wir bringen die Saiten zum Kingen! In: Hackbrett Informationen Nr. 25 (01/2011), S. 4-9

  • Reiser, Tobi (1959): „Wie das Hackbrett zu neuem Leben kam“. In: Sänger und Musikanten. 02/4 (1959), S. 51-53



Notenausgaben:

  • Ebel, Günter (2001): Swinging Strings. Band 1: Vom Silbensprechen zur Jazzmusik. Verlag vierdreiunddreissig, München 2001

  • Lanzinger, Jörg (2009): A.bendlied C.ontra D.ay C.onclusion. Landes-Hackbrett-Bund Baden-Württemberg [Hg]. Ohne Ort 2009

  • Lanzinger, Jörg (2008): Band-Mix. Landes-Hackbrett-Bund Baden-Württemberg [Hg]. Ohne Ort 2008

  • Lanzinger, Jörg (2008): B.ubbles A.nd C.razy H.orses. Landes-Hackbrett-Bund Baden-Württemberg [Hg]. Ohne Ort 2008

  • Lanzinger, Jörg (2008): C.hatterboxes A.nd F.riendly E.nemies. Syrgenstein 2011

  • Morandell, Robert (2009): Quantum of Action. Verlag vierdreiunddreißig, München 2010


Tonaufnahmen:

  • Never Been There (1989): Ambience. veraBra Records 1989, vBr 2030 2

  • Never Been There (1987): Never Been There. Intuition Music 1993, B000002GRF

  • Never Been There (1995): third out of three. Extra Records & Tapes Klaus Böhnke GmbH 1995, MMCD 047

  • Porcupine Tree (2009): Deadwing. Atlantic Records 2009

  • The Alan Parsons Project (1976): Edgar Allen Poe: Tales of Mystery and Imagination. Mercury 1987

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